Liebe Anne,
herzlichen Dank, dass du dich heute zeigst und wir über das Thema Sichtbarkeit sprechen. Wie du weißt, kommen die Themen intuitiv zu mir.
Bevor wir starten: Wer bist du?
Hallo Christine, ich freue mich sehr über deine Einladung zum Interview. Zwar haben unsere Wege sich nur wenige Male online gekreuzt und doch waren die kurzen Begegnungen stets wertschätzend und offen. Wie nun auch deine Interviewanfrage. Das weiß ich zu schätzen, deshalb vielen Dank dafür!
Ich bin Anne Usadel, 38 Jahre, freie Lektorin und Mama von zwei Mädchen – Elena (14) und Mariam (6). Mit meinem Micha und unseren Kindern wohne ich seit acht Jahren in Leipzig. Zuvor habe ich in Halle/Saale studiert, bin in der Uckermark aufgewachsen und habe als Teen zudem viel Zeit in Berlin verbracht.
Als Lektorin arbeitest du ja scheinbar im Hintergrund, dabei ist dein Werk vorn sichtbar, nachlesbar. Was macht das Wort „Sichtbarkeit“ mit dir?
Wenn ich an Sichtbarkeit denke, blicke ich als erstes zurück. Denn das Thema Sichtbarkeit zieht sich wie ein roter Faden durch mein Leben.
In der Schulzeit habe ich viel Theater gespielt, sowohl in der Schule als auch in der Freizeit. Schon damals war ich eher schüchtern und stand ungern im Mittelpunkt. Theater als Hobby ist da vermutlich nicht naheliegend, doch hat es mich geprägt, mein Selbstbewusstsein in Bezug auf meine Persönlichkeit gestärkt und mir die Möglichkeit gegeben, mich zu zeigen − ohne mich nackt fühlen zu müssen. Schließlich waren es stets Rollen, in die ich schlüpfte. Mir war schon zu dieser Zeit klar, dass ich später mit Worten arbeiten will. Damals dachte ich noch an das Theater, die Schauspielerei oder vielleicht die Dramaturgie, da ich auch schon seit meiner frühesten Kindheit gerne las – vor oder hinter den Kulissen, diese Frage stand seither im Raum.
Schließlich entschied ich mich für ein Germanistik-Studium. Der Vorhang fiel also. Meine Studienzeit war sehr anonym. Ich ging unter im wuseligen Unileben und hatte Schwierigkeiten, zum Beispiel Vorträge zu halten, da es nun ganz klar um meine persönliche Performance ging. Der Schutz der Heimat und des Theaters war nicht mehr vorhanden. Ich musste mich zeigen und das in einer für mich schmerzlichen Zeit der Trennung – von Freunden, der Familie, der Heimat, meinem alten Leben. Etwas Neues aufbauen und mich selbst sehen.
Und was bedeutet Sichtbarkeit für dich?
Sichtbarkeit war und ist für mich noch immer eine Herausforderung und Hürde. Auch heute stelle ich mir häufig die Frage, wie sichtbar ich sein will. Auf meiner Webseite muss ich mich zeigen, klar! Schließlich biete ich meine Leistungen als Lektorin an. Da ist es für Kunden entscheidend zu wissen, mit wem man kooperiert, wem man die eignen Texte anvertraut.
Doch wie ist es mit Facebook, Instagram und Co.? Klar arbeite ich im Marketing mit diesen Kanälen und betreue verschiedene Accounts für Vereine und Unternehmen, doch ist es etwas anderes, dies für sich selbst zu tun. Das ist ein Vorhaben, das ich noch nicht umgesetzt habe, nach der Notwendigkeit frage und auch immer wieder überlege, ob ich das will.
Sichtbarkeit ist ja ein Heraustreten aus der Komfortzone. Lebst du lieber in deinem bekannten Raum oder prescht du eher raus?
Ich bin zugegebenermaßen durchaus gerne in meiner Komfortzone – das Lektorat schmiegt sich da perfekt ein. Wie du ja schon zu Beginn so gut beschrieben hast, bleibe ich im Hintergrund, dem Autor gebührt das Rampenlicht.
Ich finde es aber wichtig, die Komfortzone zu verlassen, wenn es sich gut anfühlt – für die richtigen Projekte und Herzensangelegenheit kann dies ein großer Mehrwert sein − auch für mich selbst. Doch sicher gehört immer eine große Portion Überwindung und Mut dazu.
Das kenne ich auch. Mut gehört dazu, sich herauszubegeben – und damit auch sichtbar zu machen. Welche Situation hat dich geprägt, wo du besonders mutig warst?
Ein neuer Wendepunkt bezüglich des Themas Sichtbarkeit brachte meine Magisterarbeit. Ich suchte nach einem Thema und dachte instinktiv an meinen Dozenten Roland Rittig, der mich in seinen Lyrik-Seminaren stets inspirierte. Seine Sichtbarkeit fand ich enorm beeindruckend und zog mich somit entsprechend in den Bann. Über das Studium hinaus pflegte ich von nun an Kontakt zu ihm. So kam ich zur Ernst-Ortlepp-Gesellschaft, einem literarischen Zeitzer Verein, der sich um Leben und Werk des vormärzlichen Dichters bemüht. Meine Magisterarbeit durfte ich über die Briefe Ortlepps schreiben und vor der Presse präsentieren. Das war ein besonderer Moment für mich, der viel Überwindung und Mut forderte. Seither (2011) stärkt mir die Gesellschaft und insbesondere Roland den Rücken.
Was oder wer stärkt dich, mutig zu sein?
Meine Töchter! Schließlich möchte ich, dass sie starke, selbstbewusste und mutige Frauen werden. Als Mutter übernimmt man natürlich eine Vorbildrolle. Das motiviert mich, aus der Komfortzone herauszutreten. Außerdem weiß ich, dass mich dies auch immer nachhaltig stärkt.
Wobei vergisst du die Zeit, bist du im Flow?
In unserem Garten vergesse ich oft die Zeit. Gartenarbeit gibt mir oftmals ein gutes Gefühl. Ich sehe direkt ein Ergebnis und kann ernten, was ich säe. Ich erfreue mich immer wieder an dieser willkürlichen Schönheit und lerne jeden Tag neue bereichernde Dinge über die Natur.
Da bin ich ganz bei dir – Natur und Gartenarbeit öffnen mein Herz, lassen mich Zeit und Raum vergessen.
Was bedeutet Dankbarkeit für dich? Gibt es ein Erlebnis, für das du absolut dankbar bist?
Ich bin für vieles dankbar – meinen Partner, meine Kinder, unseren Zusammenhalt, dass es uns gut geht und wir gesund sind. Außerdem bin ich meinen Eltern sehr dankbar für meine schöne, behütete Kindheit und ihre unermüdliche Unterstützung.
Gibt es eine Frage, die du mal gestellt haben möchtest? Und wie ist deine Antwort darauf?
Kann es wirklich ein klar abgegrenztes Gut oder Böse geben?
Ich denke nicht in Schwarz und Weiß. Selten ist meiner Meinung nach eine Kategorisierung in gut oder böse sinnvoll, viel mehr trägt jeder Mensch beide Seiten mit unterschiedlichen Ausschlägen in sich. Die Hintergründe sind immer entscheidend, um das große Ganze zu sehen und abwägen zu können. Wichtig ist es, mit offenen Ohren und Augen auch hinter die Kulissen zu schauen. Denn nicht alles ist auf den ersten Blick sichtbar und oft liegt die Wahrheit in der Mitte. Empathie ist dabei eine große Stärke. Ich finde, dass diese Frage aktuell sehr relevant ist, da eben jene besagte kostbare Empathie immer mehr an Bedeutung zu verlieren scheint und durch Missgunst und permanente Skepsis vor dem Gegenüber abgelöst wird, leider.
Mein Lieblingszitat von Ernst Ortlepp aus seiner „Rede des ewigen Juden“ (1836) passt sehr gut dazu:
Der beß`re Mensch lebt nicht allein,
Er nennt die ganze Menschheit sein,
Er trägt ihr Weh und ihre Lust
Im Abgrund seiner eig`nen Brust.
Jauchz`t sie empor, so jauchz`t er mit,
Steht sie und seufz`t, so stockt sein Schritt,
Und auch aus seinem Auge fällt
Die Thräne einer ganzen Welt.
Oh wie schön, ich danke dir!
Was möchtest du den LeserInnen meines Blogs mitgeben?
Arbeite stets an dir und deiner Persönlichkeit. Erfreue dich an deinem Erreichten, aber entwickle dich weiter. Nimm Herausforderungen an und höre dabei auf dein Herz. Wenn du weißt, was du liebst und an dich glaubst, deine Wünsche und Stärken sichtbar für dich selbst und andere machst, wirst du deinen Weg finden.
Ich danke dir von Herzen, liebe Anne, dass du dich hier zeigst und damit vielen Menschen Mut machst, herauszutreten! Ich wünsche dir alles Liebe und sage: bis bald 🙂
Kontaktmöglichkeiten (Werbung):
Webseite: https://anne-usadel.de
Instagram: www.instagram.com/anne.usadel
Facebook: www.facebook.com/lektorat.usadel